Innen gut, alles gut
Sinn und Zweck von Meditation besteht darin, die seelische Energie und das allgemeine Wohlbefinden zu steigern bzw. wiederherzustellen. Meditation, Training und Ernährung bilden zusammen einen alltäglichen Dreiklang konkreten Handelns, der ganz erheblich über unsere Lebensqualität entscheidet.
Damit ist nicht gesagt, dass eine hohe Lebensqualität nur mit Meditation möglich ist - doch Meditation erhöht die Wahrscheinlichkeit eines glücklichen Lebens enorm. Das gleiche gilt natürlich auch für Training und gesunde Ernährung - es ist ok, auch mal Pizza zu essen und Bier zu trinken; es ist ok, ab und an mal eine Trainingspause einzulegen. Genauso verhält es sich auch mit Meditation - sie ist unserer Lebensqualität sehr zuträglich, gleichzeitig jedoch kein Pflichtprogramm.
Warum schreibe ich das, bevor ich überhaupt definiert habe, was genau ich mit Meditation meine? Weil mir Folgendes wichtig ist: Der Dreiklang aus Training, Ernährung und Meditation ist kein Selbstzweck, sondern dient unserem Glück. Der Sinn des Lebens besteht darin, ein Leben zu leben, das du gerne immer und immer wieder nochmal genau so leben würdest - und immer wenn du im Müssen statt im Wollen agierst, dann besteht zumindest die Gefahr, dich diesem übergeordneten Sinn konträr zu verhalten.
Die Frage muss also lauten: Warum willst du meditieren? Im Gegensatz zu: Warum musst du meditieren? Am einfachsten lässt sich das über eine Gegenfrage und die Antwort darauf erklären: Warum schläfst du gerne?
Nun muss ich ein bisschen ausholen: Jeder Tag besteht aus drei Phasen - der Wachphase, der Traumschlafphase und der Tiefschlafphase. Diese drei Phasen wiederholen sich alle 24 Stunden, unser ganzes Leben lang. Nur wenn wir unseren Schlaf unterdrücken bzw. er verhindert wird, bleiben Schlafphasen aus. Und jeder weiss, wie unangenehm das ist. Schlafentzug ist Folter und dauerhafter Schlafmangel ein sicherer Weg zu sehr geringer Lebensqualität. Schlaf ist eine auf Dauer unentbehrliche Notwendigkeit und es gibt keinen Menschen, der nicht gerne gut schläft. Weil Schlaf unseren Geist aufräumt und unsere Energiereserven wieder auffüllt. Wir fühlen uns gerne erholt, ausgeschlafen und voller Energie. Gute Meditation hat den gleichen Effekt - und im Gegensatz zum Schlaf ist Meditation absichtlich möglich.
Jeder weiss aus eigener Erfahrung, dass es unmöglich ist, per Entschluss einzuschlafen. Umso doller wir einschlafen wollen, desto weniger gelingt es uns. Warum? Weil Einschlafen ein De-Fokussieren, ein De-Konzentrieren, ein Loslassen ist. Solange unser Geist an etwas festhält, und sei es der Wunsch einzuschlafen, gelingt uns genau das nicht. Deswegen ist absichtliches Einschlafen unmöglich - nur die Bedingungen, die das Einschlafen ermöglichen, können absichtlich hergestellt werden. Meditation hingegen kann jederzeit und überall absichtlich durchgeführt werden. Wer also gutes Meditieren erlernt, gewinnt eine zusätzliche Möglichkeit, seinen Geist aufzuräumen und seine Energiereserven wieder aufzufüllen. Deswegen ist Meditation Teil des praktischen Dreiklangs für Lebensqualität.
Inzwischen fragst du dich bestimmt, was “gutes Meditieren” bedeutet. Mit gutem Meditieren meine ich effektives Meditieren - also Meditation, die deinen Geist tatsächlich aufräumt und deine Energiereserven tatsächlich auffüllt. “Schlechte Meditation” hingegen wäre Meditation, die dir Energie raubt, statt zu geben. Das bringt uns nun zu den zwei fundamental unterschiedlichen Meditationstechniken: Objektive Meditation und Subjektive Meditation.
Objektive Meditation ist solche, in der ein Bewusstseinsobjekt fokussiert wird. Mit Bewusstseinsobjekt ist das gemeint, worauf du dich fokussierst. Das können völlig unterschiedliche “Dinge” sein, beispielsweise die Flamme einer Kerze, deine Atmung, ein Mantra oder eine Visualisierung. Durch die Fokussierung deines Geistes auf diese eine Sache rücken Gedanken und Gefühle in den Hintergrund und du kannst dich von ihnen erholen. Das funktioniert zwar, ist jedoch auch wieder ein Fokussieren, ein Konzentrieren, und damit anders als das Einschlafen kein Loslassen.
Subjektive Meditation hingegen ist ein De-Fokussieren, ein Loslassen - wie das Einschlafen. An dieser Stelle springen wir nochmal zu den drei Phasen eines jeden Tages zurück: In der Wachphase leben wir unser wachbewusstes Leben - wir wissen (zu einem gewissen Grad) was wir tun, können bewusste Entscheidungen treffen, denken und fühlen - und sind zur Metakognition fähig, können also über unsere Gedanken nachdenken (!). In dieser Phase nehmen wir die ganze Zeit Bewusstseinsobjekte wahr, sowohl innere, wie unsere Gedanken und Gefühle, als auch äußere, wie andere Menschen und unsere Umwelt.
In der Traumschlafphase nehmen wir immer noch Bewusstseinsobjekte wahr - jedoch nur noch innere. Wenn wir träumen, erschafft unser Geist sowohl die Traumwelt als auch die Geschehnisse innerhalb dieser Traumwelt. Wir erträumen also sowohl die Welt als auch die in ihr handelnden Akteure, inklusive unseres Traum-Ichs. Das kann sowohl die Form von Albträumen als auch die Form sehr schöner Träume annehmen. In jedem Fall verarbeitet unser Geist so die Erfahrungen der Wachphase. Unser Geist räumt sich selbst auf, indem er die Wacherfahrung zu Traumerfahrung verarbeitet. Traumerfahrung ist auch Erfahrung - wir nehmen etwas wahr, empfinden etwas, erfahren etwas.
In der Tiefschlafphase schließlich macht unser Geist Pause. In dieser Phase herrscht Abwesenheit aller Erfahrung. Wir nehmen nichts wahr, keine Träume und auch keine anderen Bewusstseinsobjekte, einfach nichts. Tiefschlaf ist die Abwesenheit aller Wahrnehmung, weder Innen- noch Außenwelt werden wahrgenommen. In dieser Phase sind wir nur noch Bewusstsein, ohne Inhalt. Unser Geist hat seine Aktivität komplett eingestellt und erholt sich vollständig. Ohne Bewusstseinsobjekte kann es auch keinerlei Fokus geben. Da wir nichts wahrnehmen, können wir uns auch auf nichts konzentrieren. Das ermöglicht die vollständige Regeneration unseres Geistes und deswegen lieben wir den Tiefschlaf.
Da wir jedoch nicht absichtlich einschlafen können, haben wir keinen willentlichen Zugang zu dieser Phase. Allerdings können wir willentlich subjektive Meditation beginnen - und so absichtlich in den Genuss von Tiefschlaf-ähnlicher Erholung kommen. Die dazu erforderliche “Technik” ist so simpel, dass sie sehr leicht zu übersehen bzw. zu ignorieren ist. Subjektive Meditation besteht lediglich darin, unsere Erfahrung an uns vorbeiziehen zu lassen. Beachte bitte, dass es einen Unterschied zwischen “vorbeiziehen lassen” und “beobachten” gibt. Wer etwas beobachtet, spannt seine Aufmerksamkeit auf dieses Bewusstseinsobjekt. Daher auch die Redewendung “Ich bin gespannt”, wenn wir eine Entwicklung aufmerksam beobachten. In der subjektiven Meditation machen wir genau das Gegenteil, wir entspannen unsere Aufmerksamkeit und lassen alle Wahrnehmung, alle Bewusstseinsobjekte, alle Erfahrung, an uns vorüberziehen.
Was unser Körper und seine Sinnesorgane währenddessen machen, spielt eigentlich keine Rolle - doch gerade für Beginner ist es hilfreich, die Augen zu schließen und einfach nur still dazusitzen. Der Trick besteht darin, alle Wahrnehmungen zu akzeptieren, inklusive eventuell auftretender Metakognition. Ein klassischer Fehler wäre, “einen leeren Geist” anzustreben. “Der leere Geist” wäre ja wieder ein Bewusstseinsobjekt, ein Zielzustand, ein Fokus. Das führt dann typischerweise zu der frustrierenden Erfahrung, sich während des Versuches zu meditieren in Metakognitionsspiralen zu verirren; also “ich muss einen leeren Geist erreichen….. scheiße, schon wieder ein Gedanke…..doller probieren, nichts zu denken….scheiße….ich kann das nicht….fuck, schon wieder ein Gedanke….”. Die Parallelen zum Einschlaf-Prozess sind offensichtlich; umso angestrengter wir es versuchen, desto weniger gelingt es uns.
Akzeptanz ist der Schlüssel zum Glück und auch der Schlüssel zu effektiver Meditation. Setz dich bequem hin, stell dir einen Wecker, damit du keine unterschwellige Angst hast, einzuschlafen und etwas zu verpassen, schließe die Augen und lass all deine Erfahrung an dir vorüberziehen. Sei der Bildschirm, auf dem der Film deines Lebens läuft. Sei der Himmel, an dem die Wolken deiner Gedanken und Gefühle vorüberziehen. Sei das Flussbett, durch das dein Bewusstseinsstrom fließt.