Der geistige Garten

Im Folgenden wird untersucht, was es mit dem Begriff Esoterik auf sich hat und in welcher Beziehung der Sonnenwolf zur Esoterik steht.

Schauen wir uns zunächst an, was der Duden über Esoterik sagt.

Laut Duden hat der Begriff Esoterik folgende Bedeutungen:
1a) Grenzwissenschaft (wissenschaftliche Beschäftigung mit Phänomenen (aus dem Bereich der Parapsychologie u. a.), die dem rationalen Denken nicht zugänglich sind)
1b) weltanschauliche Bewegung, Strömung, die durch Heranziehung okkultistischer, anthroposophischer, metaphysischer u. a. Lehren und Praktiken auf die Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung des Menschen abzielt
2) esoterische Geisteshaltung, esoterisches Denken

Der Duden definiert das Adjektiv esoterisch dann wie folgt:
1) die Esoterik betreffend, dazu gehörend
2) nur für Eingeweihte einsichtig, [geistig] zugänglich

Für den Duden ist ein Esoteriker folglich ein “Anhänger, Vertreter einer (mystischen, religiösen, philosophischen, ästhetischen o. ä.) Geheimlehre”.

Zur Verdeutlichung nun noch ein Blick auf das Gegenteil, die Exoterik. Sucht man auf duden.de nach dem Begriff Exoterik, stellt man interessanterweise fest, dass es nur die Einträge Exoteriker und exoterisch gibt, aber nicht den Eintrag Exoterik.

Das Adjektiv exoterisch bedeutet laut Duden “für Außenstehende, für die Öffentlichkeit bestimmt; allgemein verständlich”.

Den Exoteriker definiert der Duden daher als einen “(bezüglich esoterischer Lehren o. Ä.) Außenstehenden, nicht Eingeweihten”.

Soviel zum Duden und zur zeitgenössischen Verwendung der Begriffe. Schauen wir nun noch kurz nach, wo beide Begriffe ursprünglich herkommen.

Esoterik kommt vom altgriechischen esōterikós, was innerlich, dem inneren Bereich zugehörig, von innen her bedeutet.
Exoterik bedeutet entsprechend das Gegenteil, also äußerlich, dem äußeren Bereich zugehörig, von außen her.

Wenn wir uns all das vergegenwärtigen, wird auch klar, warum in der Alltagssprache die Begriffe Esoterik, esoterisch und Esoteriker oft negativ gemeint sind. Der Duden assoziiert Irrationalität mit Esoterik (siehe 1a oben) – und da ist es keine Überraschung, dass mit Esoterikern umgangssprachlich manchmal Spinner gemeint sind. Das liegt in der Natur der Sache: Wenn ein Esoteriker sich mit Dingen beschäftigt, die Exoteriker nicht verstehen, dann machen aus Perspektive der Exoteriker die Esoteriker irrationale Sachen.

Der Duden schreibt dem Adjektiv irrational zwei Bedeutungen zu:
1) mit der Ratio, dem Verstand nicht fassbar; dem logischen Denken nicht zugänglich
2) vernunftwidrig

Gemäß dieser Definition ist beispielsweise Mathematik für viele Schüler eine höchst irrationale Angelegenheit. Ihr individueller Verstand kann die Mathematik nicht fassen, ihrem logischen Denken ist sie nicht zugänglich, sie erscheint ihnen “vernunftwidrig”.

Manchen Schüler geht es mit anderen Fächern so, und nur wenigen Schülern geht es mit keinem Fach so. Und das gilt nicht nur für die Schule, sondern auch für die Schule des Lebens.

Ob uns etwas irrational oder logisch erscheint, das ist ausschließlich eine Frage unseres Geistes. Was für Albert Einstein selbstevident ist, ist für Cindy aus Marzahn irrational.

Gleichzeitig gibt es natürlich eine große Schnittmenge zwischen den individuellen geistigen Filtern. Und diese Schnittmenge definiert, was in der Allgemeinheit als esoterisch und verrückt oder als logisch und sonnenklar angesehen wird. Zwischen Albert Einstein und Cindy aus Marzahn finden wir viele Normalos, und es ist deren geistige Schnittmenge, die “normal” definiert.

Wahrheit ist jedoch keine Frage der Mehrheitsverhältnisse. Ob eine Wahrheit von Millionen von Menschen oder nur von einem einzigen Mensch erkannt wird, das ändert absolut nichts an der Wahrheit an sich. Und die Menschheitsgeschichte ist glücklicherweise voller Verrückter wie Galileo Galilei, Thomas Edison, Isaac Newton, Nikola Tesla und so weiter, die von ihren Zeitgenossen selbstverständlich als Spinner angesehen wurden – eben weil sie sich mit Dingen beschäftigt haben, die niemand verstanden hat. Wissen, Wahrheit und Naturgesetze interessieren sich jedoch einen Scheißdreck für die Meinung von Menschen – selbst wenn ausnahmslos alle Menschen einer Meinung sind.

Jemand der nach tiefer Erkenntnis strebt, wird praktisch unweigerlich von seinen Zeitgenossen als verrückter Esoteriker angesehen – eben weil er seinen Horizont über den Horizont der Herde hinaus erweitert. Deswegen versteckt so mancher Mensch sein Erkenntnisstreben – oder schlimmer noch, unterdrückt es. Der Mensch ist ein tribales Wesen, das immer zwischen “Wir” und “die Anderen” unterscheidet – und ein natürliches Zugehörigkeitsbedürfnis hat. Auch Galileo Galilei, Thomas Edison, Isaac Newton, Nikola Tesla und alle anderen Verrückten der Welt hatten und haben gerne Freunde. Und genau aus diesem Grund gibt es esoterische Gemeinschaften.

In einer esoterischen Gemeinschaft schließen sich Menschen zusammen, die sich mit Dingen beschäftigen, die von der Herde nicht verstanden werden. Die Themen und Interessen dieser Gemeinschaft sind aus Perspektive der Exoteriker irrational, also dem Verstand der Exoteriker nicht zugänglich. Aus Perspektive der Exoteriker sind die Esoteriker verrückt, aus der Perspektive der Esoteriker sind die Exoteriker langweilig. Und da der Mensch dazu neigt, immer “den Anderen” die Schuld für das Schlechte zu geben, kommen “die Esoteriker” schnell auf die Hassliste der Herde. “Die Esoteriker” sind dann plötzlich “rechte Schwurbler” und dergleichen. Das liegt in der Natur der Sache – stört den wohlverstanden Esoteriker jedoch nicht. Denn eben weil er Esoteriker ist – und somit gemäß Duden mittels “okkultistischer, anthroposophischer, metaphysischer Lehren und Praktiken auf die Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung des Menschen abzielt” – hat er einen zentralen Grundsatz verstanden: Innen gut, alles gut.

Der wohlverstandene Esoteriker sucht und erkennt sein Glück nicht in der Außenwelt, sondern in sich. Entsprechend sind die Meinungen und Geschehnisse der Außenwelt für ihn nur von geringer Bedeutung. Er weiss, dass es darauf ankommt, wie er innerlich den Input der Außenwelt interpretiert. Er weiss, um Viktor Frankl zu paraphrasieren, dass zwischen Reiz und Reaktion ein Raum liegt, und dass er in diesem Raum selbst darüber entscheidet, inwiefern die Meinungen und Geschehnisse der Außenwelt für ihn relevant sind.

Um diesen Artikel nicht zu lang werden zu lassen, möchte ich mit einigen Anmerkungen zum Sonnenwolf zum Ende kommen:

Der Sonnenwolf ist ein esoterisches Ideal. Identität drückt sich durch Taten aus und Taten finden im Äußeren statt, richtig. Doch vor der Tat kommt der Entschluss, und der Entschluss findet im Inneren statt. Wir sind eine esoterische Gemeinschaft, eben weil wir nach Selbsterkenntnis und Selbstentwicklung statt nach exoterischem Konsum und Ablenkung streben. Unser Gesetz ist das Gesetz der Natur – und eben deshalb stehen wir letztendlich in keinerlei Opposition. Denn so wie Schädlinge und Unwetter Teil der Natur sind, so ist auch das Schlechte im Menschen Teil der menschlichen Natur. Das bedeutet nicht, dass wir dem Schlechten nicht entschieden entgegentreten – ganz im Gegenteil; jedoch bekämpfen wir das Schlechte nicht aus Hass, sondern aus Liebe. So wie ein Gärtner das Unkraut aus seinem Garten aus Liebe zu seinen Pflanzen entfernt, so entfernen wir auch das Unkraut aus unserem geistigen Garten aus Liebe zur Schöpfung und zu uns selbst.